“I was never a giant comic book fan, but I’ve always loved the image of Batman and The Joker.”
— Tim Burton (Salisbury 2006, S. 719)
Film, Fernsehen und Literatur (populäre eingeschlossen) sind stets auch Reservoirs für die Ausbildung der Subjektivität von Rezipientinnen und Rezipienten, und zwar insofern, als Charakterzüge, typische Handlungen, Themen und Narrative, letztlich jedes einzelne Strukturelement solch komplexer Vorlagen aus seinen ursprünglichen Kontexten herausgelöst und auf die Subjektivität einer einzelnen Person oder auch diejenige eines Kollektivs bezogen werden kann. Von ‘Applikationen’ wird dabei in Analogie zu Aufnähern auf Textilien gesprochen, bei denen ein vorgefertigtes Element (vom Krokodil über den Polospieler bis hin zum schwungvoll gestalteten Bogen oder den Streifen auf den Laufschuhen) durch Aufnähen in neue Kontexte gestellt wird. Den hohen Stellenwert solcher Applikationen macht man sich am besten an zwei Extremfällen deutlich: Im einen wird ein nachgeahmtes Produkt durch eine Applikation, die einen teuren Markenartikel verspricht, ‘aufgewertet’; im anderen haben wir es zwar mit dem Originalprodukt zu tun, dessen symbolischer Wert aber gegen Null tendiert, wenn ihm die Applikation fehlt.
Für die empirischen Subjekte stellen die zur Applikation genutzten Elemente Angebote zur Assoziation bereit, d.h. zur Ausbildung von mal eher temporär gültigen, mal langdauerstabil bestehenden individuellen oder kollektiven Identitäten. Eine solche Assoziation, oder ein solcher Socius, kommt dadurch zustande, dass Individuen sich in einem Akt des ‘So-bin-ich-auch’ an attraktive Positionen innerhalb des Diskurssystems einer Kultur ankoppeln (sich ihnen assoziieren). Die Einheit oder Identität eines solchen Socius ist diskursiver, sei es eher bildlicher, sei es eher textueller, auf jeden Fall aber semiotischer Art. Einzelindividuen werden dadurch auf jeweils verschiedene Weise zu ebenso verschiedenen Sozialkörpern zusammengeschlossen.
Die Analyse von Subjektapplikationen kann daher zeigen, wie Identitäten aus Bild- und Textvorlagen entstehen. Das bedeutet, dass wechselnden Vorlagen sowie im Weiteren Diskursen und Diskurssystemen auch verschiedene und sich ablösende individuelle und kollektive Subjektivitätstypen entsprechen, also wechselnde ‘Ich’- und ‘Wir’-Subjekte mit demgemäß wechselnden singulären und kollektiven Identitäten. Aus dem Prozess des Sich-Ankoppelns würde dann ein Sozialkörper, ein Socius hervorgehen, für den es weder eine im Vorhinein schon bestehende Identitätssubstanz gibt noch Identität zwischen den beteiligten Interakteuren allererst ausgehandelt werden müsste (vgl. Link 2005; Parr 2009).
Um diesen Vorgang etwas anschaulicher zu machen, kann man sich das Funktionieren des Diskurssystems am besten, wie Jürgen Link (1999) es vorgeschlagen hat, als eine Maschine zur Reproduktion von Diskursen und den in und mit ihnen eingenommenen diskursiven Positionen vorstellen, eine Maschine, “die zunächst einmal unabhängig von bestimmten, individuellen Interakteuren ‘laufen’ kann”. Diese Maschine ‘Diskurssystem’ hält nun in Form der angebotenen diskursiven Positionen attraktive Schnittstellen für Individuen bereit. Dabei sind die Einzel-Individuen durchaus austauschbar, denn ihre ‘Eignung’ resultiert nicht aus ihren mitgebrachten Charaktereigenschaften, sondern aus dem “Grad der Kompatibilität ihrer sprachlichen, diskursiven und subjektiven […] ‘Sozialisation’” mit der jeweiligen Diskursposition. “Dieser empirische Vorgang des austauschbaren ‘Eintretens’ verschiedener und wechselnder Individuen in analoge vom Diskurs parat gehaltene Positionen bzw. ‘Leerstellen’ ist nichts anderes als der empirische Prozess der Subjektbildung als ‘Wir’-Bildung”, also der Identitätsbildung. Die diskursiven Positionen und die Elemente, die sie ausmachen, sichern die dafür nötige Kohäsion, d.h. wir haben es mit einem Prozess der Ver-Subjektivierung von Diskurselementen und -positionen zu tun. Es besteht also keine Vorgängigkeit der Subjekte, “vielmehr bilden sich konkrete Subjekte” in denjenigen “‘Hohlformen’ allererst heraus, die Applikationsvorlagen und die mit ihnen verbundenen Diskurse für Subjekte ‘anbieten’” (Link 1999, S. 19). Wer also nach Identität und Assoziation fragt, der ist gut beraten, sich mit diesen ‘Hohlformen’, nämlich den interdiskursiven Elementen der betreffenden Kultur zu beschäftigen.
Als Interdiskurse einer Kultur können diejenigen vielfältigen materiellen Brückenschläge verstanden werden, die einzelne Teilbereiche einer Gesellschaft miteinander verknüpfen und in ihrer Summe solche imaginären Ganzheiten (Integrale) herstellen, die im Lebensalltag eigentlich nicht anzutreffen sind. Dazu gehören alle Formen von Analogien, Metaphern und Symbolen, denen gemeinsam ist, einen gesellschaftlichen Teilbereich zum strukturierenden Medium eines anderen zu machen. Sie fungieren als Verbindungen zwischen ihnen. So kann eine Politikerin für ihr Tun das Bild einer Teamchefin aus dem Bereich Sport entlehnen, ein begnadeter Künstler sich als Handwerker imaginieren und der Niedergang eines Wirtschaftssystems als Flugzeugabsturz versinnbildlicht werden. In ihrer Summe bilden solche Brückenschläge den Kitt, der eine Kultur zusammenhält (vgl. Parr 2011). Diese interdiskursive, Diskurse verbindende Funktion können aber auch Applikationen aus Literatur, Film und Fernsehen übernehmen, etwa indem Charaktere und Narrative in andere als die ursprünglichen Kontexte gestellt werden. Sind es zudem ganze Cluster von analogiebildenden Elementen, Charaktermerkmalen, Narrativen und typischen Handlungen, die kohärent zusammengeführt werden, dann spricht man von Diskurspositionen. Diese wiederum bilden attraktive Schnittstellen für Prozesse des ‘Sich-Assoziierens’.
Das im Frühjahr 2018 in New York entstandene Foto zeigt einen exemplarischen Fall der Subjekt-Applikation eines allem Anschein nach attraktiven und besonders positiv gewerteten interdiskursiven Elements: Den Kühlergrill von Wagen 26 der Feuerwehr von New York City ziert nämlich eine Batman-Figur, also einer der klassischen amerikanischen Comic- und Film-Superhelden. Platziert an der Stelle, an der man in früheren automobilen Zeiten die Kühlerfigur gesehen hätte, wird Batman hier nicht einfach nur zur applizierten Figur, sondern darüber hinaus zu einer Art Handlungs-Vorlage für das von dieser Wagen-Besatzung zu erwartende Verhalten. Denn nicht nur deren Blick nach vorn ist zugleich derjenige der Batman-Figur, in die die Besatzung auf diese Weise geradezu hineinschlüpft und durch die hindurch sie ihre Aufgabe sieht, sondern in gleichsam umgekehrter Richtung wird diese Figur – wie die textile Applikation – auch den Feuerwehrleuten im Wagen als Vorlage/Vorgabe ihres Handelns im engeren und ihrer Identität im weiteren Sinne ‘angeheftet’, was sie selbst wiederum durch diese Batman-Figur nach außen hin sichtbar machen: ‘Von uns könnt ihr erwarten, dass wir so wie Batman handeln, nämlich unter Einsatz unseres Körpers und bester technischer Ausrüstung zum Wohle der Gesellschaft.’ Damit stellen die Feuerwehrmänner von Wagen 26 eine typische interdiskursive Kopplung zwischen gesellschaftlichen Teilbereichen (Populärkultur und Brandbekämpfung) her, die nicht per se etwas miteinander zu tun haben.
Warum aber Batman und nicht Superman? Eine Antwort lässt sich mit Blick auf die Unterschiede der beiden Charaktere, aber auch hinsichtlich der Darstellung der Räume, in denen sie agieren, geben: Was den Charakter angeht, ist Superman so, wie wir alle gern wären, Batman hingegen (fast) so, wie wir nun einmal sind, durchaus mit einer dunklen Seite, doch was die positive Seite angeht stärker, besser, intensiver und ein Stück weit auch fanatischer als wir selbst. Aber “[o]bwohl der Held mehr kann als wir, fordert er dennoch nicht mehr für sich, als wir sind und haben, und bringt so ein Opfer für uns” (Dath 2005, S. 10; vgl. auch Engelns 2013, S. 7).
Das aber macht Batman – und schon gar die aus dem Film “Batman v Superman. Dawn of Justice” von 2016 stammende Kühlerfigur – besser zur Applikation geeignet als den ‘cleanen’ und vielleicht schon etwas zu smarten Superman, und das gerade auch für Feuerwehrleute mit ihrer Kombination aus Technik- und Körpereinsatz unter gefährlichen Bedingungen. Denn Batman verfügt zwar nicht über Superkräfte, aber zeichnet sich dadurch aus, dass er sein menschliches Vermögen auf das höchste Niveau gesteigert hat: intellektuell als vielleicht weltbester Kriminalist seit Sherlock Holmes, körperlich als jemand, der besonders durchtrainiert ist und seinen Körper in Kombination mit einem speziellen technischen Equipment gegen alles Böse und alle Bösen zum Einsatz bringt (vgl. Beatty 2001, S. 16–21; Banhold 2009). Das geschieht seit Beginn der Comic-Serie häufig vor dem Hintergrund von Brand- und Feuerszenarien. All dies bildet wiederum ein geradezu ideales Applikationsangebot für Feuerwehrleute. Nicht ganz grundlos wird Batman daher in denjenigen Comics, die vom diskursiven Ereignis ‘9/11’ handeln, immer als ‘mitten im Geschehen stehend’ gezeigt (vgl. Banhold 2009, 66f.), Superman aber mit Distanz dazu (vgl. dazu 9/11 2001 und Miller/Varley 2004, S. 190f.).
Last but not least agiert Batman in “Gotham City”, einer Stadt mit deutlichen Parallelen zu New York City (vgl. Beatty 2002, S. 22f., 26f.). Ähnliches lässt sich zwar auch für Superman konstatieren, allerdings bei deutlichen Differenzierungen. So hat Fricke (2009, Absatz 14) darauf hingewiesen, dass von der Atmosphäre her “Supermans Metropolis New Yorks Central Park an einem warmen Tag im Juni mit strahlendem Sonnenschein während eines Volksfestes” sei, während Batmans Stadt als räumliches Szenario – so zitiert Fricke den für Batman in der Comicreihe “Detective Crimes” verantwortlichen Dennis O’Neil – “Manhattan unterhalb der 14. Straße um 11 Minuten nach Mitternacht in der kältesten Nacht des November” gleiche (Fricke 2009, Absatz 14; O’Neil 1994, S. 344). Und schließlich ist Batman bereits selbst so etwas wie ein ‘Applikationen-Sampler’, hat er doch Sherlock Holmes ebenso beerbt, wie Zorro, D’Artagnan und andere Single-Kämpfer gegen das Böse (vgl. Daniels 1999, S. 19–28).
Allerdings bedarf es bei der Subjektapplikation der Batman-Figur durch die Feuerwehrleute von New York City einer kleinen Verschiebung, nämlich derjenigen vom Rächer und Jäger zum Schützer.
Wie man sich der Batman-Figur am besten assoziiert, indem man sie auf sich selbst appliziert, das zeigt “wikiHow”, die Erklär-Plattform, Kindern und Jugendlichen im Artikel “Wie Batman sein. Wie Batman denken. Wie Batman in Form sein. Wie Batman aussehen”: “Der dunkle Ritter! Die Bürgerwehr! Der maskierte Rächer! Wenn du dich wie Batman im Schatten bewegen willst, dann kannst du lernen, wie er zu denken, handeln und aus Spaß wie er auszusehen.” Die nachfolgende Anleitung in Text und Bild gibt kurz und knapp die nötigen Anweisungen. Erste Rubrik (“Wie Batman denken”): “1 Kämpfe für Gerechtigkeit”; “2 Verteidige die Unschuldigen”; “3 Benutze Gadgets”; “4 Mache deine eigene Bathöhle”; “5 Stell dich deinen Ängsten”; “6 Sei gewillt zu tun, was es dazu benötigt”; “7 Rede auch wie Batman”. Die zweite Rubrik nimmt Batmans extrem gut trainierten Körper in den Blick (“Wie Batman in Form sein”): “1 Lerne dich selbst zu verteidigen”; “2 Sei flexibel”; “3 Komme in Form”; “5 Halte deinen Rücken gerade”; “6 Handel robust”. Bleibt als Letztes noch die Rubrik “Wie Batman aussehen” mit Anweisungen wie “5 Trage dunkle Kleidung” (Wie Batman sein 2019).
Mit einer so detaillierten Anweisung wie dieser sollte es gelingen, sich per Applikation dem Batman-Charakter zu assoziieren. Subjekt-Applikationen sind dann so etwas wie ein selbstbetriebenes “Superhelden-Merchandising” (vgl. Engelns 2012), nämlich ihre Distribution in immer neue Zusammenhänge und Situationen hinein.